Das in der Reihe Hanser des Deutschen Taschenbuch Verlags erschienene historische Sachbuch beschäftigt sich intensiv mit dem Konflikt im Nahen Osten. Dabei recherchierte der Politikwissenschaftler Martin Schäuble sowohl auf palästinensischer, sowie auf israelischer Seite und zog zusätzlich Zeitzeugenaussagen und die Hilfe des Vorsitzenden des Dachverbandes der Holocaust-Überlebenden und Präsidenten des Internationalen Auschwitz-Komitees Noah Flug hinzu.
Der Inhalt beschreibt die Anfänge des Konflikts bis zum ersten Aufstand der Palästinenser 1939 gegen die bereits hohen Zuwanderungen, die Zeit des Holocaust und die dadurch entstandene Massenflucht nach Palästina. Außerdem werden die Teilung Palästinas, die Staatsgründung Israels 1948 und der direkt darauffolgende erste Arabisch-Israelische-Krieg aufgezeigt, erklärt und aufgeschlüsselt.
Nach einem Zwischenkapitel, welches sich mit dem bis heute ungelösten Problem der palästinensischen Flüchtlinge beschäftigt, folgt der Autor chronologisch in seinen Ausführungen den 1950er Jahren mit dem Suezkrieg, dem Sechs-Tage-Krieg im Juni der 1960er Jahre, der anschließenden Entstehung einer eigenen nationalen Bewegung der Palästinenser unter der israelischen Besatzung, der Fatah angeführt von Yassir Arafat, bis hin zum Jom-Kippur/Ramadan-Krieg 1973. Auch die noch heute umstrittene Besiedlungspolitik Israels unter Menachem Begin, die schließlich zum ersten Libanonkrieg 1982 führte, sowie die erste Intifada (arabisch für Aufstand, Erhebung) der Palästinenser und das daraufhin geschlossene Friedensabkommen von Oslo werden ausführlich erläutert. Ebenso führen die Autoren die zweite Intifada und den Bau der Barriere, die Ähnlichkeiten mit den Anfängen der Berliner Mauer aufweist, erläuternd an. Der Konflikt im Gazastreifen im Süden des Landes bis hin zum zweiten Libanonkrieg 2006 im Norden bilden eines der letzten geschichtlichen Kapitel des Sachbuchs.
Martin Schäuble rundet sein Werk mit einem Sprung in die Beziehung der Palästinenser und Israelis heute und einem positiv-zukunftsorientierten Beispiel zweier junger Betroffener ab. Für alle noch weiter Interessierten stellt er im Anhang Angaben zu den Zeitzeugen und eine Auswahl an Medientipps zu jedem Kapitel zur Verfügung. Auch eine zusammenfassende Zeittafel und mehrere Karten sowie der Bildnachweis und die Danksagung finden sich in diesem Bereich des Buches.
Ich persönlich würde das Buch definitiv allen Schülern, Studenten und Interessierten, die auf Anschaulichkeit Wert legen, weiter empfehlen.
Während seiner detaillierten Ausführungen, verwendet Schäuble nicht nur vereinzelt passende Bilder, die sich unaufdringlich in den Fließtext fügen, sondern verschafft dem Thema durch die Verwendung von Zeugenaussagen zwar komplexe, aber leicht verständliche und vor allem tiefe Einblicke in die jeweilige geschichtliche Situation in Politik und Gesellschaft. Hier liegt auch eine der beiden großen Stärken des Buches: Die doch zugegebenermaßen schwer verdauliche Thematik wird aufbereitet ohne zu beschönigen, aber auch ohne abzuschrecken. Im Gegenteil, die teils bewegenden, teils faktischen Aussagen der Zeitzeugen/Zeitzeuginnen, die immer jede Seite des Konflikts gleichermaßen beleuchten, halten das Interesse des Lesers/der Leserin langfristig aufrecht. Auch ist die simple unverschnörkelte Sprache in Zusammenhang mit knappen aber aussagekräftigen Zitaten ein wichtiger Faktor in Sachen Verständlichkeit, was vor allem für SchülerInnen und Studierende große Vorteile bringt.
An diesen Punkt schließt sich auch die zweite große Stärke des Buches an, die Worterklärungen. Begriffe, die in den Medien häufig vorkommen, deren Hintergrund und Bedeutung aber kaum jemand genau kennt oder die gar missinterpretiert oder falsch übersetzt werden, werden erklärt und Missverständnisse auf einfache Art und Weise aus dem Weg geräumt, ohne dabei belehrend zu wirken. Begriffe wie Fatah, Hamas, Zion oder Dschihad (der oftmals fälschlicherweise als „heiliger Krieg“ übersetzt wird) werden in einen größeren, ursprünglicheren Zusammenhang gesetzt und anschließend den heutigen Fakten zugeordnet. Dies ist nicht nur für SchülerInnen positiv zu vermerken, sondern auch für alle hilfreich, um Missverständnisse im Alltag und der Verständigung zu vermeiden.
Im Gegensatz zu anderen Reportage-ähnlich verfassten Sachwerken ergreift die Redaktion dieses Buches für keine Seite Partei, sondern beleuchtet stets beide Seiten der Medaille ohne zu faktisch oder trocken zu wirken. Mit Fingerspitzengefühl bewegt sich das Werk auf einer doch teils hauchdünnen Gratwanderung, die auch mal in die eine, mal in die andere Richtung zu kippen scheint, um sich im letzten Moment zu retten und doch neutral zu bleiben.
Eine kleine Schwäche des Sachbuches ist im Aufbau zu finden: Die eigentlich gut durchdachte Verteilung vernachlässigt nämlich die Position der Karten, die leider nicht wie die Bilder in den Fließtext integriert sind. Für jemanden, der grobe Grundkenntnisse in der Geographie des Nahen Ostens hat und auf mehrfaches Blättern verzichten kann, ist dies jedoch nicht weiter störend.
Insgesamt ist der Zusammenhang verständlich, die Thematik sehr gut aufbereitet und aufgeschlüsselt und das Buch informativ und interessant gestaltet. Ich hatte zuvor nur ein 15-minütiges Lernvideo als Vergleich und bin trotz der unverkennbar ebenfalls guten Qualität des Videos froh, das Buch gelesen zu haben – eben weil die Informationen dem/der LeserIn auf eine ganz spezielle, angenehme und vertiefende Art und Weise nahe gebracht werden.
Ich gebe dem Sachbuch „Die Geschichte der Israelis und Palästinenser“ von Martin Schäuble und Noah Flug 4 von 5 lesepunkten für ein gelungenes Schriftstück, das sich, wie in der Einleitung versprochen, sinnvoll in die Reihe der Sachbücher zu dieser heiklen Thematik einreiht und eine wertvolle Wissensgrundlage bildet.