„Kind aller Länder“ von Irmgard Keun aus dem Jahre 1938 ist ein Roman, der das Leben im Exil aus der Perspektive der 10 jährigen Kully darstellt. Das Mädchen reist zunächst illegal an der Seite ihrer Mutter durch verschiedene Länder Europas, während der Vater parallel in anderen Ländern versucht, das notwendige Geld zum Lebensunterhalt aufzutreiben. Die Familie ist aus Deutschland entwurzelt, sie ist aber auch untereinander zerrissen. Die Mutter leidet unter der Einsamkeit und versucht diese mit Beziehungen zu anderen Männern zu betäuben. Die Tochter übernimmt die Rolle einer kleinen Erwachsenen, die sich um die zunehmend kranke Mutter kümmert. Auch wenn Kully in den unterschiedlichen Ländern immer wieder einmal auf Kinder stößt, so erzählt sie als Ich-Erzählerin doch hauptsächlich von den Gesprächen der Erwachsenen. Sie lebt in einer Erwachsenenwelt und ist damit ebenfalls entwurzelt, nämlich von der Kinderwelt. Dies wird besonders dadurch deutlich, dass sie in Hotels ein künstliches Leben führt und mehr Kontakt zum Hotelpersonal zu haben scheint, als zu Freunden oder zur Familie. Ihre Mutter und sie sind das Pfand, das im Hotel zurückbleibt, solange der Vater die Schulden nicht bezahlen kann. Sie hat keine sozialen Kontakte, auch, weil sie keine Schule besuchen kann.
Immer wieder werden in kleinen Geschichten und Kommentaren die Ursachen für diese Lebenssituation genannt: Der Vater kann als Schriftsteller nicht in Deutschland arbeiten. Seine Bücher sind verboten. Später, in Amerika, besucht Kully kommunistische Versammlungen. Er scheint also ein kommunistischer Schriftsteller zu sein. Zu diesem Zeitpunkt ist die Familie erneut getrennt: Die Mutter bleibt durch einen verworrenen Zufall in Europa zurück und nun reist Kully an der Seite ihres Vaters durch Amerika, der nun wiederum seine Frau vermisst und mit der Tochter eigentlich nichts anzufangen weiß. Auch hier ist Kully fremd und anders als andere Kinder: Sie gilt als „Luxus-Emigrantin“, die eigentlich keine „richtige“ Emigrantin ist, da sie „noch nicht mal“ Jüdin ist (S. 174).
Neben dem Thema Einsamkeit, Fremdsein und Entwurzelung zieht sich aber auch der Tod als Leitmotiv durch den Roman: Vom Selbstmord des Onkels erfahren sie aus der Zeitung, der Geliebte der Mutter hat eine Sargfabrik, der Vater hat einen Revolver, mit dem er die Familie „zur Not“ umbringen könnte. Doch diese depressive Stimmung wird immer wieder durch die kindliche Perspektive aufgefangen und lässt den Leser schmunzeln: „Es gibt auch Emigranten, die keine Dichter sind. Die Emigranten haben Vereine, wo sie sich ungestört zanken können. Viele Emigranten wollen sterben, und mein Vater sagt oft, es sei das beste und einzig Wahre, aber sie sind alle etwas unschlüssig und wissen nicht recht, wie sie es anfangen sollen. Denn es genügt nicht, dass man einfach betet: Lieber Gott, lass mich bitte morgen tot sein.“ (S. 138)
Was dieses „Kind aller Länder“ unter Heimweh versteht, erfährt der Leser am Schluss von dem Kind, das eigentlich keins ist.
Der Roman ermahnt zur Wachsamkeit, denn er zeigt die Geschichte von politisch Verfolgten, die aus einem Land vertrieben werden, in dem demokratische Grundrechte verschwinden – mitten in Europa.