Frank Maria Reifenberg: Wo die Freiheit wächst

Lesepunkte: 4 Punkte
AutorIn: Frank Maria Reifenberg
Titel: Wo die Freiheit wächst
Verlag: arsEdition ISBN: 978-3-8458-2274-7
Seiten: 384 Preis: 15,00€
Altersempfehlung: ab 14 Jahren

Rezensiert von: Emilia Werner, 11. Klasse [Erzbischöfliche Ursulinenschule, betreut von: Christine Mertes]

Der Briefroman „Wo die Freiheit wächst“ von Frank Maria Reifenberg handelt von der 16-jährigen Lene, die in der Zeit des Nationalsozialismus versucht ihre Familie zusammenzuhalten, den Kontakt zu ihrer besten Freundin nicht zu verlieren und trotz Tod, Zerstörung und Unterdrückung sich nicht ihre Meinung verbieten zu lassen. Lene lebt zu Beginn des Romans zusammen mit ihrer überforderten Mutter, ihren zwei kleinen Schwestern und ihrem jüngeren Bruder Kalli, der sich immer mehr zu einem Vollblut-Nazi entwickelt. Ihr größerer Bruder Franz ist als Soldat an der Ostfront, und ihr Vater gilt zunächst als vermisst; im Laufe des Romans erfährt man, dass er in einem KZ getötet wurde.

Lene begegnet einem Jungen namens Erich, in den sie sich nach kurzer Zeit verliebt. Dieser bringt sie das erste Mal in Kontakt mit den Edelweißpiraten, einer Gruppe regimekritischer Jugendlicher, für die die Mitgliedschaft in HJ und BDM nur lästige Pflicht ist und die stattdessen lieber wandern gehen. Die Abneigung gegen die staatlich gelenkte Jugendarbeit wandelt sich bald in politischen Widerstand. Dies muss natürlich im Geheimen geschehen, da die Gestapo den Jugendlichen auf der Spur ist und harte Strafen verhängt werden. Trotzdem beschriften sie Wände mit Anti-Nazi-Parolen und verteilen kritische Flugblätter.

Die Überwachung durch die Gestapo und die Verfolgung von nicht regimetreuen Menschen wird nicht nur durch den Inhalt der Geschichten deutlich, sondern auch durch die Art, wie die Briefe verfasst sind; die Briefschreiber müssen sich über Codewörter und Anspielungen verständigen.

 

Die Briefe werden alle, bis auf den letzten, entweder von Lene oder an Lene geschrieben und machen die unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven auf die NS-Zeit deutlich. Ihr großer Bruder Franz berichtet vom Leben an der Front, vom unerbittlichen Kampf unter menschenunwürdigen Bedingungen. Lenes beste Freundin Rosi, die aus ländlichen Gegenden Schlesiens und Norddeutschlands berichtet, spürt die Auswirkungen des Krieges nicht unmittelbar und versucht Lene davon abzuhalten, sich und andere in Gefahr zu bringen. Erich thematisiert vor allem die Aktivitäten seiner Gruppe und die Hoffnung auf ein besseres Leben mit Lene nach dem Krieg. Ganz im Gegensatz dazu wird in den Briefen von Kalli, Lenes jüngerem Bruder, seine große Liebe für Vaterland und Hitler deutlich, weswegen der Kontakt zwischen ihm und Lene schlussendlich abbricht. Lene selber berichtet von den Auswirkungen des Krieges auf ihr Leben, von ständigen Alarmen und der Flucht in den Keller, aber auch vom Versuch, für ihre Familie zu sorgen, indem sie zunächst in einem Friseur-Salon arbeitet und später als Schaffnerin. Doch auch ihre politisch kritische Meinung und der Wunsch nach Freiheit und einem normalen (Liebes)-Leben kommt in ihren Briefen vor.

Die Entscheidung diesen Roman in Briefen zu verfassen, finde ich sehr gelungen, da man so als Leser*in die vielen Perspektiven und Erfahrungen, die die unterschiedlichen Menschen in der NS-Zeit gemacht haben, gut veranschaulicht bekommt. Der einzige Nachteil des Briefromans liegt darin, dass nicht immer die Antwort auf einen Brief sofort kommt, denn manchmal liegen mehrere andere Briefe zwischen dem ursprünglichen und der Antwort darauf, sodass die/der Lesende den Überblick verliert.

 

Mir gefällt besonders, dass die wahren Gegebenheiten und historischen Ereignisse sehr genau umgesetzt werden. Die Bemühungen des Autors einen spannenden und zugleich historisch korrekten Roman zu verfassen, werden besonders im Nachwort deutlich, das sogar eine Würdigung der Edelweißpiraten enthält. Auch auf eine historisch passende Sprache hat der Autor geachtet und das Buch dennoch sehr verständlich und gut lesbar geschrieben. Die Spannung im Roman steigt stetig und damit auch der Wille und die Neugier weiterzulesen. Doch war mir persönlich das Ende etwas zu kurz und abrupt geschrieben, auch wenn das natürlich wieder verdeutlicht, wie schnell alles im Zweiten Weltkrieg vorbei sein kann, aber ich hätte mir trotzdem einen ausführlicheren Abschluss gewünscht und auch die Antwort auf offen gebliebene Fragen, wie was mit Lene passiert ist und wer letztlich der/die Verräter*in war.

 

Abschließend lässt sich sagen, dass die Form und der Inhalt des Buches sehr stimmig sind und der Autor das Leben im Zweiten Weltkrieg sehr anschaulich beschreibt. Durch Lenes Geschichte wird der/dem Leser*in bewusst, wie das Leben einer Jugendlichen damals ausgesehen hat und was für eine große Verantwortung sie tragen musste. Die Schwierigkeit ein normales Leben, mit Arbeit, Liebe und Freundschaft, mit dem Krieg, der Tod und Zerstörung mit sich bringt, zu vereinen, machen einem als Leser*in bewusst, wie privilegiert unser heutiges Leben, trotz Corona, ist. Außerdem wird die Botschaft, dass man sich nicht unterdrücken lassen und immer für Recht und Freiheit kämpfen sollte, durch die mutigen Taten der Edelweißpiraten sehr deutlich. Der Roman ruft in Erinnerung, wie es in Deutschland noch vor 80 Jahren aussah, und zeigt, dass Hass und Ausgrenzung nie der richtige Weg sind. Aufgrund der spannenden und historisch korrekten Auseinandersetzung mit dem Thema kann ich dieses Buch auf jeden Fall weiterempfehlen!

Ich würde den Roman ab einem Alter von 14 Jahren empfehlen und gebe vier von fünf Punkten.

Empfohlene Zitierweise

Emilia Werner, Rezension von: Frank Maria Reifenberg: Wo die Freiheit wächst. In: LESEPUNKTE 2021, https://www.lesepunkte.de/rezensionen/frank-maria-reifenberg-wo-die-freiheit-waechst
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