LESEPUNKTE im Gespräch mit Lea-Lina Oppermann über Ihr Buch „Was wir dachten, was wir taten“, ihre Begeisterung für Philosophie und das Brechen mit Stereotypen

LESEPUNKTE im Gespräch mit Lea-Lina Oppermann über Ihr Buch „Was wir dachten, was wir taten“, ihre Begeisterung für Philosophie und das Brechen mit Stereotypen

Geheimnisse, Arroganz, Mitläufertum und Lügen – all das wird den Schülern in Lea Lina Oppermanns "Was wir dachten, was wir taten" zum Verhängnis. Ein Amokalarm konfrontiert SchülerInnen wie LehrerInnen mit sich selbst, den eigenen Gefühlen und  Handlungen und stellt vermeintliche "Normalität" gänzlich auf den Kopf. Auf der Leipziger Buchmesse waren die LESEPUNKTE im Gespräch mit Autorin Lea-Lina Oppermann.

 

„Für mich ist es so, als ob ich mich in der Welt des Buches selbst neu erfinden könnte und in gewisser Weise ,Schachspieler‘ sein, indem ich Ereignisse so zusammenführe, dass sie einen Sinn ergeben und am Ende ein Ganzes ergeben, was in der Realität meiner Meinung nach nicht der Fall ist.“ – Lea-Lina Oppermann

LESEPUNKTE: In "Was wir dachten, was wir taten" spielt an einer Schule. Was waren in deiner eigenen Schulzeit deine Lieblings- und Hassfächer?

Oppermann: Zu Philosophie, Theater und Geschichte bin ich immer sehr gerne gegangen, während ich mich vor Mathe sehr gerne gedrückt hätte ‑ da habe ich also wenig Gemeinsamkeiten mit Fiona aus Was wir dachten, was wir taten, die ja gerade in Mathe eine Musterschülerin ist. Ich habe in Mathe immer sehr viel gezeichnet, was natürlich nicht so gut ankam.

LESEPUNKTE: Was wir dachten, was wir taten ist passend zu deinem Lieblingsfach philosophisch angehaucht. Was fasziniert dich so an Philosophie?

Oppermann: Ich finde es sehr interessant und wichtig, Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und Dinge infrage zu stellen, die man eigentlich für selbstverständlich hält. Das ist für mich gerade das spannende an Literatur.

LESEPUNKTE: Und welche der Perspektiven in Was wir dachten, was wir taten würdest du als deine „Lieblingsperspektive“ bezeichnen, sofern man in diesem Kontext von einer Lieblingsperspektive sprechen kann?

Oppermann: Die Perspektive von Mark zu schreiben hat mir am meisten Spaß gemacht. Besonders mag ich die „Stell dir vor du schaust einen Horrorfilm“-Stelle. Wobei ich selbst eigentlich gar nicht gerne Horrorfilme schaue. Bei Horrorszenen fühle mich ganz unwohl.

LESEPUNKTE: Hast du beim Schreiben denn auch etwas Neues über dich selbst erfahren?

Oppermann: Was wir dachten, was wir taten hat mir die Möglichkeit gegeben, über die Struktur von Schule und dem Schulklassenssystem nachzudenken, ohne selbst betroffen oder involviert zu sein. Im echten Leben ist man ja häufig in seiner eigenen Rolle gefangen, aber dadurch, dass Was wir dachten, was wir taten in drei Perspektiven erzählt ist, war auch ich als Autorin immer wieder gezwungen, die Haltung zu wechseln und dasselbe Ereignis aus drei Perspektiven zu betrachten, was man meiner Meinung nach im Alltag viel zu selten macht. Tatsächlich hat das Wechseln der Perspektiven das Schreiben des Buches für mich sehr erleichtert. Ich glaube, wenn ich nur eine einzige Perspektive eingenommen hätte, hätte mein Schreibprozess wesentlich länger gedauert. Was wir dachten, was wir taten spielt ja in einem einzigen Raum und somit sind die sprachlichen Möglichkeiten zunächst ja sehr begrenzt. Ich konnte weder so etwas wie Landschaftsbeschreibungen einbauen noch die Zeitebene wechseln. Es war eine ungemeine Erleichterung „den Kopf“ wechseln zu können, wo ich schon nicht „den Ort“ wechseln konnte. Mir war es daher beim Schreiben wichtig, möglichst glaubhaft rüberzubringen, dass es sich um drei verschiedene Personen handelt, die einem ihre Geschichte erzählen.

LESEPUNKTE: Auch wenn die Geschichte räumlich sehr begrenzt war, ist das Buch doch sehr ereignisreich. Die im Buch geschilderten 143 Minuten mögen für die SchülerInnen unfassbar lang gewesen sein, für den/die LeserIn passiert in dieser Zeit unglaublich viel, gerade durch die schnellen Perspektivwechsel. Welche Bedeutung hat es für dich, dir Geschichten und die verschiedenen Perspektiven auszudenken?

Oppermann: Für mich ist es so, als ob ich mich in der Welt des Buches selbst neu erfinden könnte und in gewisser Weise „Schachspieler“ sein, indem ich Ereignisse so zusammenführe, dass sie einen Sinn ergeben und am Ende ein Ganzes ergeben, was in der Realität meiner Meinung nach nicht der Fall ist. Beim Geschichtenschreiben kann ich mich großen Gefahren aussetzten und Abenteuer erleben, ohne dabei sein Leben zu riskieren, was ich für eine große Bereicherung halte.

LESEPUNKTE: Und woher rührt deine Faszination, Texte zu sprechen?

Oppermann: Das liegt vermutlich zum einen daran, dass meine Eltern mir früher immer sehr viel vorgelesen oder mir Geschichten erzählt haben. Über Glasperlenspiel ‑ was leider gescheitert ist ‑ bis zu Kleine Hexe war wirklich alles dabei. Das habe ich aus meiner Kindheit insgesamt als äußerst positiv behaftet mitgenommen. Wenn ich einen Text spreche, stelle ich mir vor, es sei mein eigener Text oder meine eigenen Gedanken und das ist ja auch genau das, was ich durch mein Studium lerne.

LESEPUNKTE: Wenn du dein Buch vor Schulklassen vorliest, welche Reaktionen konntest du bisher beobachten?

Oppermann: Das ist ganz unterschiedlich. Einer meiner letzten Lesungen war vor eine Schulklasse, die selbst einen Fehl-Amokalarm erlebt hat. Diese SchülerInnen haben die Handlungsabläufe und Reaktionen im Buch an vielen Stellen mit ihren eigenen Reaktionen verglichen und die Geschehnisse im Buch sehr stark auf sich selbst bezogen. Mein erster Testleser war mein kleiner Bruder und es war mir sehr wichtig, dass er beim Lesen nicht nur geschockt ist, sondern manchmal auch noch zu einem kleinen Schmunzeln fähig ist, dass die Geschichte nicht nur "hart" ist, sondern gleichzeitig menschlich und echt bleibt.

LESEPUNKTE: Es wird im Buch fehlerhafterweise von Anfang an davon ausgegangen, dass der Amokläufer ein männlicher Schüler ist. Spielst du bewusst mit den Vorstellungen von Geschlechterrollen?

Oppermann: Ich wollte bewusst mit dem Vorurteil brechen, dass mit einem gewalttätigen Menschen immer ein computersüchtiger Mann oder Junge assoziiert wird, der eher Außenseiter ist und in seiner Freizeit höchstens Bücher über Gewehre liest. Ich glaube, dass es die Umstände sind, die einen Menschen zum Amokläufer/zur Amokläuferin machen und das kann eben mit jedem/jeder passieren.

LESEPUNKTE: Verfolgst du noch eine weitere Intention mit deinem Buch über einen Amoklauf?

Oppermann: Vor allem wollte ich diese Geschichte erzählen und schauen, was alles in so einem Klassenverband und den darin versammelten Menschen steckt. Was glänzt vielleicht auch unter der Oberfläche. Denn das, was wir sehen, ist meiner Meinung nach nur die Spitze des Eisberges. Außerdem wollte ich vor allem mit der Figur Mark ermutigen, über sich hinauszuwachsen und vom passiven Mitläufer zu einem Beschützer zu werden und hinzuschauen. Insgesamt tue ich mich aber sehr schwer damit, meinem Buch einen Appell zuzuschreiben, aber wenn es einer wäre, dann die Aufforderung, hinzuschauen.

LESEPUNKTE: Welche Bedeutung hat in diesem Kontext die kleine Nele für dich?

Oppermann: Es war mir wichtig, eine unschuldige Person im Raum haben, sonst wäre es mir zu düster gewesen. Sie ist diejenige, die später vielleicht mal in einer gut funktionierenden Klassengemeinschaft sitzt und mit einem Lehrer, der nicht überfordert in seiner Rolle ist.

LESEPUNKTE: Unsere letzte Frage: Was bleibt für dich nach deinem Buch?

Oppermann: Für mich bleibt da eine Nele und der Glaube daran, dass es Klassengemeinschaften gibt, die zusammenhalten und sich durch ein wunderbares LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis auszeichnen.

LESEPUNKTE: Vielen lieben Dank für das Interview!

 

Lea Lina Oppermann: Was wir dachten, was wir taten (BELTZ 2018).

Empfohlene Zitierweise

Interview mit Lea-Lina Oppermann (Julia Wagener und Jana Rüttgers). In: LESEPUNKTE 2018, URL: https://www.lesepunkte.de/interview/lesepunkte-im-gespraech-mit-lea-lina-oppermann-ueber-ihr-buch-was-wir-dachten-was-wir-taten-ihre-begeisterung-fuer-philosophie-und-das-brechen-mit-stereotypen/
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